Zum Film
Andy Goldsworthy ist weltweit bekannt durch seine faszinierenden Arbeiten mit Naturmaterialien. Eis, Steine, Blätter, Zweige, Wasser – Goldsworthy arbeitet mit dem, was er vorfindet, und zumeist dort, wo er es vorfindet. Einige seiner Arbeiten bleiben in der Landschaft bestehen, andere vergehen, schmelzen, werden vom Wind verweht. Allein Goldsworthys Fotografien halten seine kurzlebigen Arbeiten in der Vergänglichkeit der Zeit fest, eine Faszination der besonderen Art – seine Fotobände sind die erfolgreichsten Kunstbücher der letzten Jahre in Deutschland.
Thomas Riedelsheimer konnte als erster Filmemacher Andy Goldsworthy über einen längeren Zeitraum bei seiner Arbeit beobachten. Mehr als ein Jahr und über die vier Jahreszeiten begleitete er ihn nach Kanada, in die USA, nach Frankreich und Schottland, dem Wohnort Goldsorthys, in dem der Künstler und sein Werk tief verwurzelt sind. Riedelsheimer dokumentiert das Unvorhersehbare, das Überraschende, das permanente Risiko, das in Goldsworthys Arbeit steckt; das nie vergebliche Scheitern und den Neubeginn, die leidenschaftliche Geduld und den unbändigen Willen zu verstehen.
Es kam Thomas Riedelsheimer darauf an, den oft langwierigen Prozess des Entstehens und Vergehens von Goldsworthys Kunstwerken zu dokumentieren. Da Goldsworthy seine Arbeit nicht für die Kamera wiederholt, sah sich die Produktion mit der Notwendigkeit eines großen Drehverhältnisses konfrontiert. Dennoch wurde Rivers and Tides auf Film realisiert – für Riedelsheimer ein Versuch, durch die Stofflichkeit des Materials und das Risiko analoger Filmaufnahmen der Welt von Andy Goldsworthy gerecht zu werden. Das geduldige, manchmal vergebliche Warten wurde zum natürlichen Bestandteil der Dreharbeiten – wie bei jenem Steinkegel an der kanadischen Küste, der während seiner Errichtung fünfmal einbrach, dann drei Fluten unbeschadet überstand und schließlich unbeobachtet bei Ebbe einstürzte.
Rivers And Tides - Andy Goldsworthy Working With Time
Ein Film von Thomas Riedelsheimer, Musik: Fred Frith
Eine Produktion von Mediopolis Filmproduktion mit Skyline Productions in
Zusammenarbeit mit WDR/ARTE und YLE TV Produktion
D 2000, 90 Min., 35mm, Farbe
Pressestimmen
„In makelloser Ruhe und Beschaulichkeit observiert Riedelsheimer den Künstler und seine Arbeit mit zurückhaltender Farbigkeit. Er versucht, so wenig wie möglich hinzuzutun, eine Kranfahrt wirkt schon fast luxuriös. Besonders wohltuend: dass Riedelsheimer der Versuchung, selbst Kunst machen zu wollen, nicht erliegt.“ (Begründung der Jury: Deutscher Kamerapreis 2001)
„Kunstwerke von atemberaubender ästhetischer Größe ... Goldsworthys Installationen haben in der Regel nur als Foto oder in dieser einzigartigen Dokumentation Bestand. Regisseur Thomas Riedelsheimer schenkt uns dazu Bilder voller Licht, Farbe und meditativer Kraft.“ (Zitty, Berlin)
„Wie etwas konstruiert wird, wie es sich auflöst und zerfällt. In vier Ländern, zu vier Jahreszeiten hat Thomas Riedelsheimer Andy Goldsworthy mit der Kamera beobachtet ... Rivers and Tides ist ein kleines Geschenk in der Bilderflut.“ (Tagesspiegel, Berlin)
„Faszinierend ist, wie Riedelsheimer das Handwerkliche dieser Kunst, den körperlichen Einsatz, nachfühlt. Man meint die Kälte zu spüren, wenn Goldsworthy mit blossen Händen mit Eis arbeitet; man begreift, was es heißt, schwere Steine zu cones mühsam aufzuschichten ... Und während man dieser Arbeit zusieht, begreift man vielleicht, was der Künstler erzählt: dass er versucht, Stein zu verstehen; wie er die Energie des Lebens und dem Fluss in der Natur nachspürt, und dass die totale Kontrolle der Tod seiner Arbeit wäre.“ (EPD Film)
„Ein Film von fließender Geschmeidigkeit und kristalliner Schönheit... Riedelsheimer begleitet den Künstler auf seinen Streifzügen und dokumentiert minutiös und geduldig den Prozeß des Entstehens und Verschwindens. Die Kamera verdichtet solche Momente zu Artefakten von hoher Komplexität, die frei sind von jeglicher mysteriöser Spiritualität. Denn bei allem faszinierten Staunen und meditativen Verweilen, das über den Bildern Riedelsheimers liegt, folgt der Film wie die Arbeit Goldsworthys dem Pragmatismus der Natur und reproduziert ihre Schönheit als Kunstwerk. Ist dies das heimliche Werk der Elfen?“ (Schnitt Filmmagazin)
Regiestatement
Mitte der 90er Jahre stieß Thomas Riedelsheimer zufällig auf einen Artikel über Andy Goldsworthy, in dem dieser mit dem Satz zitiert wurde: ‘Ich möchte den Stein verstehen.’ Riedelsheimers Interesse war geweckt. „Es sind verschiedene Dinge, die mich an Goldsworthy faszinieren: die Besessenheit, mit der er seine Arbeit betreibt, diese unglaubliche Energie. Ebenso das Wissen und die Erfahrung, die er über die Jahre gesammelt hat, das Wissen vom Licht, dem Wetter, dem Boden, dem Stein, über die Dinge, die nicht sofort oder nie offensichtlich sind. Schließlich die fast meditative, hochkonzentrierte Ruhe, die er beim Arbeiten hat, und der Druck, der Zeitdruck, dem er sich dabei aussetzt.“
Der Konzeption von Rivers and Tides lag die Idee von Zeit als zirkularer und gleichzeitig linearer Erfahrung zugrunde. Wie sich dies in Bilder umsetzen ließ, war zu Beginn der Dreharbeiten im Herbst 1998 relativ offen. „Im Prinzip war es eine spannende Entdeckungsfahrt. In Kanada wußten wir z.B. überhaupt nicht, was wir drehen würden. Wir wußten nur, daß es um Zeit geht, um Flüssigkeit, um Gegensätze, um Verbindungen. Wir begleiteten Goldsworthy am ersten Tag bei seiner Erkundung. Als ich ihn dann bei laufender Kamera fragte: Was machst du jetzt? antwortete er ziemlich genervt: ‘I am trying to think!’ und wandte sich ab.“ Zwischen Filmteam und Goldsworthy entwickelte sich dennoch bald ein großes Vertrauen. „Mit ein Grund, warum es so schnell sehr gut wurde, lag vielleicht darin, daß wir das erste Filmteam waren, das ihm aktiv geholfen hat. Das hat ihm sehr imponiert. Er betonte, daß er noch nie einen Filmemacher so nah an sich und seine Kunst heran gelassen hat wie mich.“
Riedelsheimer wollte die Veränderung der Kunstwerke, die Unberechenbarkeit, die Zeitläufe dokumentieren. Das geduldige, manchmal vergebliche Warten wurde zum natürlichen Bestandteil der Dreharbeiten. So brach der Steinkegel an der kanadischen Küste während des Bauen fünfmal ein, überlebte drei Fluten unbeschadet und stürzte schließlich unbeobachtet bei Ebbe zusammen. Gedreht wurde in einem kleinen Team aus Kameraassistenz, Ton, Aufnahmeleiter und Riedelsheimer als Regisseur und Kameramann.
Die Drehzeiten waren großzügig ausgelegt, komplizierte Einstellungen – wie eine lange Kreisfahrt im Fluß – konnten in relativer Ruhe realisiert werden. Für die oft aufwendigen Dreharbeiten fernab jeder Straße und Behausung war eine speziell angepasste Ausrüstung notwendig – u.a. ein von Riedelsheimer modifizierter Kamerakran und ein selbst entworfener zusammenlegbarer Schienenwagen mit Aluschienen. Gedreht wurde im Storm King Park in den USA (ab Herbst 1998 über die vier Jahreszeiten), in Nova Scotia in Kanada (Winter 1999), Schottland (drei Drehphasen: Frühjahr, Sommer und Herbst 1999) und im südfranzösischen Digne (Sommer 1999.)